Squealer-Rocks.de Live-Review
Pavlovs Dog und Kramer (18.11.2009, 8.11.2009 Zeche Carl, Essen, TheMattes)

Mein lieber Schollikowski, da hat mich doch auf meine alten Tage noch etwas uneingeschränkt begeistert und emotional enorm aufgewühlt. Denn vorletzten Sonntag standen Pavlovs Dog auf dem Live-Programm, eine Band, die ich und alle Fans in Europa seit fast dreissig Jahren für so tot hielten wie ein frittiertes Hähnchen. Aber 2005 tauchten sie wieder aus der Versenkung auf und kamen erneut auf Touren, sozusagen, nachdem die Band 1977 auseinander gebrochen war.

Damals, in den Glorreichen Siebzigern, gab's zwar weiterhin alle möglichen krassen progressiven Rock-Bands, die mich bis in die 80er Jahre hinein begleitet haben, wie Uriah Heep, Jane, Grobschnitt, Nektar oder Eloy, aber die eine herausragende (neben Twenty Sixty Six And Then natürlich) war, kurz, aber heftig: Pavlovs Dog.
Sie brachten Mitte der Siebziger zwei Platten auf den Markt, die in ihrer romantischen Ausrichtung einmalig waren. Sie waren für mich die Größten und ich hätte nie erwartet, von der Band jemals wieder zu hören.

Aber am Sonntag, dem Achten Tag im Elften Monat des Jahres Zwotausendundneun war es soweit, denn live und in Farbe standen Pavlovs Dog auf der Bühne der guten alten Zeche Carl in Essen, um ihren romantischen progressiven Rock dem geneigten Publikum zu Gehör zu bringen.

So weit, so gut, aber die allererste Frage, die ich mir natürlich stellen musste, war die nach David Surkamp, dem so ungewöhnlichen Frontmann mit der Falsettstimme, der höchsten im Musikbusiness. War er überhaupt noch dabei? Ohne ihn würde die Sache wohl kaum Sinn machen, denn ebenso wie bei Queen und Freddy Mercury sind Musik und Songs von Pavlovs Dog buchstäblich untrennbar mit dieser außerordentlichen Stimme verbunden. Ohne dieses Wunderkind des hohen Gesangs wäre eine Wiederauferstehung unsinnig.

Aber er war natürlich dabei (er ist schließlich der Boss!) und es war ein Erlebnis der faszinierenden Art. Die Musiker um David Surkamp und Mike Safron sind erstklassig und bieten eine mehr als überzeugende Performance, was aber eigentlich schon untertrieben ist. Sie halten sich auch nicht lange mit der Vorrede auf und sofort sind sieben Musiker und Musikerinnen in voller Action. Von nun an gibt es keine großartigen Längen oder Pausen (nur die Nummer mit dem Banjo verzögert sich aufgrund technischer Unzulänglichkeiten ein wenig).

Was aber macht David Surkamp nach all den Jahren?
Die Stimme ist immer noch ungewöhnlich hoch und absolut typisch in ihrer Art und unverwechselbar. Sie verleiht den Songs einen einzigartigen wehmütigen und melancholischen Touch. Das Publikum ist fasziniert und begeistert zugleich und wir genießen jede verdammte Sekunde und jeden verdammten Song. Ich kann es eigentlich immer noch nicht fassen, dass ich diese Musik jetzt wahrlich und wahrhaftig live erleben kann und ich vermute ganz stark, dass es vielen genauso geht.

Das gesetzte ältere Publikum nämlich (ich war glaube ich der einzige in meinem üblichen Lederjacken- und Hut-Outfit; nee, stimmt gar nicht. Da war noch ein Typ in einer Jeansjacke mit großem Led Zeppelin-Rückenaufnäher!) nahm die Sache zwar dann naturgemäß auch ziemlich entspannt auf. Es gab (welche Überraschung) keine Mosh- oder Circle-Pits, eher war verhaltenes Wippen angesagt. Wenn allerdings völlig harmlos aussehende Hausfrauen in den Mitvierzigern zum Headbangen ansetzen, dann könnt ihr sicher sein, einem außergewöhnlichen Ereignis beizuwohnen. Jawoll, und so war es auch.

Pavlovs Dog spielten Songs von den ersten beiden Platten, wo eigentlich für mich nur Hits enthalten sind, sowie einige andere Stücke, die nicht weniger außergewöhnlich sind. Auch die beiden Songs für die im nächsten Jahr erscheinende Platte haben es durchaus in sich. Der Set ist hervorragend aufgebaut und die Mischung der Songs stimmt. Den größten Hit „Julia“ gibt’s natürlich erst in der Zugabe, gefolgt von dem nicht minder guten „Natchez Trace“. Bei der letzten Zugabe gibt’s dann David Surkamp pur nur mit Akustikgitarre. Herrlich!

David Surkamp singt diese romantischen Songs und Liebeslieder, getragen von sphärischen Keyboardmelodien, manchmal dominierender Geige und seiner außergewöhnlichen Stimme, mit einer Inbrunst, die ihresgleichen sucht. Er wirkt dabei oft ein wenig linkisch, was ihn für mich umso sympathischer macht. Schließlich ist nicht jeder automaisch `ne souveräne Frontsau! Aber trotzdem hat er alles im Griff, auch wenn er mir den Eindruck vermittelt, dass er es irgendwie noch immer nicht so ganz fassen kann, dass sich noch irgendein Schwein für ihn und Pavlovs Dog interessiert. Aber sicher doch!
Gesanglich und stimmlich besteht eine ziemliche Ähnlichkeit mit Geddy Lee von Rush. Vergleicht das mal, es lohnt sich!
Nichtsdestotrotz ist dieses Konzert nix für Warmduscher und Turnbeutelvergesser. Es ist laut und es rockt und kracht ganz gewaltig und zwar mehr als auf den alten Scheiben, wo die Songs noch luftig daherschwebten wie Wölkchen am Himmel (Mattes, watisslos? Bisse krank?, die Red.). Deshalb kann man mit Fug und Recht behaupten, dass die Songs es durchaus in dieses (rockigere) Jahrtausend geschafft haben.

Mit der gleichen Hingabe wie David Surkamp zocken auch alle anderen in der Band, als da wären von links nach rechts: ein verflucht guter (dazu noch charmant und gut aussehend; nicht dass ich was davon hätte, ich wollte es nur erwähnt haben) Leadgitarrist und meist dahinter agierend ein agiler Bassist mit eindrucksvollem Können (auch nett, hat aber schon was mit der Geigerin, glaube ich, der Glückliche), der mit den Drums den Wumms, den Groove und den Sound von Pavlovs Dog auf der Bühne mit prägen.

Ein lautes „Bravo“ auch an die Frau von David Surkamp, Sara, die ihn schon lange auf der Bühne begleitet. Sie singt hervorragend und bekommt auch ihren eigenen Song, nämlich „Wrong“ von Davids Soloplatte. David meinte dazu nur, dass wenn du eine Soloplatte machst und sowieso mit deiner Frau auf der Bühne stehst und sie an allem beteiligt ist, dann geht der beste Song auf der Platte natürlich....an deine Frau! Diskussion überflüssig!
Rechts hinten an der Seite haben wir dann den für den Sound von Pavlovs Dog natürlich äußerst wichtigen Keyboarder, während davor diese (rattenscharfe, Entschuldigung!) dunkelblonde Geigerin im Kleinen Schwarzen steht, puuuuuh. Und die kann auch noch wirklich was, mein lieber Schwan! Sehr, sehr gut!

Alles sind also grandiose Musiker, aber warum erzähle ich das eigentlich alles?
Damit ich zum absoluten Höhepunkt, neben David Surkamp, kommen kann, nämlich dem Drummer Mike Safron.
Schwarz gekleidet, mit langen schwarzen Haaren und einem Gesicht...., ääääh,.... also.... wie einer dieser Bestatter aus den alten Italo-Western (mir wurde aber versichert, dass er ganz harmlos ist). Die Krönung des Ganzen ist dann noch der riesige schwarze Zylinder!
Was dieser Typ da hinten in der Mitte veranstaltet, ist allein das Eintrittsgeld schon wert. Ich sach ma so, Mike Terrana ist ja auch ein Irrer an den Drums, aber so rein vom Unterhaltungswert her schlägt ihn Mike Safron um Längen. Dieser Knabe begleitet jeden Schlag und jede Bewegung mit einem grandiosen Mienenspiel. Er genießt jeden Ton, den er erzeugt. Er zelebriert das Schlagzeugspiel förmlich und ich schätze, dass ich ein Drittel der Zeit nur ihm bei seiner Performance zugesehen habe. Nicht zu fassen! Ganz großes Kino!
Es wird behauptet, dass das Vorbild für das Schlagzeug spielende Tier in der Muppet-Show der auch ziemlich verrückte Drummer von Led Zeppelin, John Bonham, war. Da haben die wohl Mike Safron nicht gekannt! Sensationell! Meinen Respekt!

Allesamt stammen die Musiker aus St. Louis. Sie sind zwar keine Berühmtheiten, aber schon lange untereinander bekannt. Bill Franco & Abbie Hainz (sic! Sachichja!) sind seit der Wiederauferstehung von Pavlovs Dog dabei, während Schlueter/Steiling das erste Mal mitspielen durften. David's Frau Sara steht mit David dagegen seit über 20 Jahren auf der Bühne. Sie war schon Sängerin, bevor sie heirateten. Im letzten Jahr war noch Doug Rayburn am Bass mit dabei, ein Originalmitglied von 1975, der aber dieses Jahr nicht mehr wollte.
Mike Safron hingegen kann man durchaus als eine sehr interessante Person bezeichnen (das ist die Untertreibung des Jahrhunderts), nicht nur optisch. Er hat einerseits Pavlov's Dog 1973 gegründet und bildet zusammen mit David Surkamp das Rückgrat der Band. Er ist zudem auch als Songwriter von „Song Dance“ in Erscheinung getreten, neben „Julia“ der zweite Hit von Pavlovs Dog.
Mike hat also durchaus eine wichtige Rolle inne, und nebenbei ist er auch noch ein netter, kluger und, selbst wenn er nicht so aussieht, disziplinierter Mensch. Seine Vergangenheit ist äußerst interessant, was eigentlich schon maßlos untertrieben ist, denn er spielte z.B. jahrelang als Schlagzeuger von Chuck Berry live und im Studio (er lebt auch in St. Louis), mit BB King oder John Lee Hooker.
Mike Safron spielte Anfang der 70er die berühmten Las Vegas-Casinoshows mit Chuck Berry (als dieser sein Comeback feierte), und trat am selben Abend mit Sammy Davis Jr. und Elvis Presley(!) auf. Mir wurde von informierter Stelle berichtet, dass es, wenn Mike zu erzählen beginnt (was er nicht oft macht, weil er daraus kein Aufsehen macht) erst richtig interessant wird. Nee, wie niedlich! So bescheiden!

Schlusswort:
Danke, Oh HERR, dass Du in Deiner unendlichen Güte meine Gebete erhört hast!
Danke, Oh HERR, dass Du es möglich gemacht hast, dass ich der besten Romantic Rock Band der Welt und der Siebziger Jahre noch einmal beiwohnen durfte!
Danke, Oh HERR, dass ich einem der eindrucksvollsten Sänger unter Deiner Sonne, David Surkamp, noch einmal mein Ohr leihen konnte! (Ich hab's aber hinterher wiedergekriegt).
Danke, Oh Mike Safron, für diesen Abend!
Danke, Oh Manni von Rockville, für Deine Unterstützung!


Pavlov's Dog 2009 Setlist
1. Preludin (von (1) 1975)
2. Once And Future Kings (von (1) 1975)
3. Breaking Ice (von (3) 1990)
4. Heart of Mine (vom Album „Live Record“ der Band Hi-Fi, die David Surkamp 1980 mit Ian Matthews von Fairport Convention gründete)
5. She Came Shining (von (2) 1976)
6. Late November (von (1) 1975)
7. Not By My Side (von (3) 1990)
8. Subway Sue (von (1) 1975)
9. Episode (von (1) 1975)
10. I Love You Still (vom sog. „Lost Third Album“, 1977 aufgenommen und nie fertiggestellt; 2007 veröffentlicht als (3))
11. We All Die Alone (neuer Song vom 2010 erscheinenden Album „Echo & Boo“)
12. Gold Nuggets (von (2) 1976)
13. Looking For My Shadow (vom 2007er David Surkamp Soloalbum “Dancing On The Edge Of A Teacup”)
14. Wrong (vom 2007er David Surkamp-Soloalbum “Dancing On The Edge Of A Teacup”; Leadvocals by Sara Surkamp)
15. Standing Here With You (von (2) 1976)
16. Angeline (neuer Song vom 2010 erscheinenden Album „Echo & Boo“)
17. Angels Twilight Jump (neuer Song vom 2010 erscheinenden Album „Echo & Boo“)
18. Song Dance (von (1) 1975)
19. Julia (von (1) 1975)
20. Natchez Trace (von (1) 1975)
21. Suzanne I Love You (ursprünglich unveröffentlichter Song, erst 2007 auf der Reissue von (3) als Bonustrack veröffentlicht)


Line-up:
David Surkamp - Vocals & Guitar
Mike Safron - Drums
Bill Franco - Guitar
Abbie Hainz - Violin & Backvocals
Nick Schlueter - Keyboards & Backvocals
Rick Steiling - Bass & Backvocals
Sara Surkamp - Acustic Guitar & Backvocals


Diskografie:
1974 – Pampered Menial (1)
1976 – At The Sound Of The Bell (2)
1990 – Lost in Amerika (3)
2007 – Has Anyone Here Seen Sigfried? (The lost third album 1977) (4)