Squealer-Rocks.de CD-Review
Birth Control - Birth Control LIVE

Genre: Krautrock
Review vom: 26.10.2008
Redakteur: TheMattes
Veröffentlichung: 10.10.2008
Label: Sony BMG



Es war einmal, diesmal im Juni des Jahres 1974. Rockmusiker, Techniker und Fans der Krautrockband Birth Control fielen in die Zentren der Rockmusik ein, ins sauerländische Attendorn, in den Schwarzwald ins Eisstadion Freiburg und sie invasierten, oder heißt es invasionierten (?), ein Städtchen am nördlichen Rand des Ruhrgebietes, Dorsten!!! Und auch dort passierte folgendes:

„Gamma Ray, Gamma Ray, GammaGammaGamma Ray,
made of pure existence,
Gamma Ray, Gamma Ray, GammaGammaGamma Ray,
mighty and unfailing,
I radiate love,
to fight misery.”



Wie ein Maschinengewehr schreit Sänger Bernd Noske diese Worte ins Mikro und sie werden unsterblich, was immer sie genau bedeuten mögen. Und seit gut 35 Jahren ditscht dieser Song wie eine Flipperkugel durch meine hohle Birne. Dieser stakkatohafte Rhythmus begleitet mich, seit die Single die deutschen Charts eroberte und der Song steht für mich in einer Reihe mit z. B. .„Burn“ (Deep Purple), „Paranoid“ (Black Sabbath), „In-A-Gadda-Da-Vida (Iron Butterfly), „Easy Livin’ (Uriah Heep) oder „School’s Out“ (Alice Cooper), den Überhits der Siebziger.

Birth Control wurden als erste deutsche Band zum Super Concert 70 in die Deutschlandhalle in Berlin eingeladen, auf dem Superstars wie Jimi Hendrix, Ten Years After oder Procol Harum spielten. Sie spielten im Londoner Marquee Club und in Cannes, und erspielten sich so den Ruf als beste deutsche Liveband. Und die Presse überschlug sich schier vor Begeisterung.

Das Album „Hoodoo Man“ wird ihr Durchbruch und ist ein Meilenstein in der deutschen Rockgeschichte. Der Song „Gamma Ray“ wird ein Monsterhit und er wird sogar als Single in zwei Teilen, also Vorder-und Rückseite (!) veröffentlicht. In den 90ern eroberte er die Techno-Szene und die gleichnamige Metalband coverte ihn selbstmurmelnd.

„Gamma Ray“ steht auch buchstäblich im Mittelpunkt dieser Live-CD aus dem Jahr 1976, als dritter von fünf(!) Songs. Dabei kann man nicht sagen, dass die Länge irgendwie übertrieben ist, denn der Song ist erstens sowieso für die Ewigkeit und die Rock ’n’ Roll Hall Of Fame, und mit ultracoolem, ziemlich kryptischen, Text.
Yeah, es gibt minutenlange Soli von Gitarre und Percussion und ein Drumsolo mit allem Drum (oijoijoijoi, was für ein Wortspiel, von Glückwünschen bitte ich abzusehen) und Dran, wobei aber der Grundrhythmus bleibt. Bald geben sich dann wieder Gitarre und Keys die Klinke in die Hand und es kommt zu einem musikalischen Wettstreit allererster Kajüte. Eine nette Scat-Einlage folgt kurz vor dem Endspurt, wo Orgel- und Klavierklänge das Ende rockig verzieren. Gigantisch, pyramidonal, galaktisch gut!

Die vier anderen Songs sind beileibe nicht viel schlechter und es ist nur ein Quickie dabei, so dass diese CD mit vier Songs auf gut 65 Minuten Spielzeit kommt. Respekt! Das hätten Dream Theater nicht besser hingekriegt.

„The Work Is Done“ eröffnet den Reigen dieser erlesenen Melodeien und zeigt schon alle Trademarks dieser Band: Keys, Leads und viel Drive und eine eigenwillige Komposition nach dem Motto „In der Länge liegt die Kraft“ und in einem jazzigen Saxophon. Da sage noch mal wer, es käme nicht auf die Länge an! Diese Tröte ist also im Vordergrund, der Drummer, die Leads dürfen solieren und mir fallen die jazzartigen Songparts auf. Der Gesang kommt mal bluesig, mal rockig daher und so entsteht ein Monument in Rock. Erwähnenswert ist noch der sehr emphatische „Gimme shelter“-Refrain, bewegend zudem.

„Back From Hell“ dagegen beginnt bluesig mit schöner Melodie und erinnert zumindest mich in einigen Teilen an Twenty Sixty Six And Then, falls das jemandem was sagt. Und wenn nicht, ist auch egal, ich bin Kummer gewöhnt. Allerdings gibt es hier etwas, was ich schon immer auf den Tod nicht ausstehen konnte, nämlich ein Drumsolo von über 6 Minuten ohne Netz und doppelten Boden und ohne Rhythmus. Ansonsten ist der Song echt toll.

Zurück zum Quickie „She’s Got Nothing On You“, der richtig gut rockt und an Deep Purple erinnert, während der letzte Song „Long Tall Sally“ mit seinem liebreizenden Mundharmonika-Solo einfach ein Hammer ist. Eigentlich stehe ich nicht auf diese alten Rock’n’Roll-Songs, aber hier wird richtig gut abgerockt und aus dem Text stammt schließlich auch das Motto, nämlich „let’s have some fun tonight!“ So isses!

Birth Control LIVE steht für mich in einer Reihe mit anderen legendären Live-Recordings aus den Siebzigern wie die von Thin Lizzie, Uriah Heep, Deep Purple und den Scorpions. Das liegt natürlich auch daran, dass keine Kosten und Mühen gescheut wurden. Birth Control boten Liveauftritte von Studioqualität, da gab es keinen Soundbrei und keine verzwickte Musik für feine Leute. Die Arrangements waren einfallsreich und ohne Zicken. Der Sound war sehr handfest, er traf dich voll in die Magengrube, denn 20 Mikros hatte man am Start und eines der seltenen „Recordomobile“ mit 16 Spuren und 30kanaligem Mischpult. Zum ersten Mal war ein Mann dabei, der der wohl erfolgreichste Rock-Produzent Deutschlands werden sollte, Dieter Dierks. Er arbeitete später u. a. mit Tangerine Dream, Can, Klaus Schulze, Nektar, Atlantis, Peter Herbholzheimer, Rory Gallagher, Accept, Tote Hosen, Böhse Onkelz, Michael Jackson, Tina Turner und den Scorpions.

Kurz gesagt: Birth Control LIVE ist ein Meisterwerk mit echter Live-Atmosphäre und sensationellem Sound! (Wieder-)veröffentlicht im schwarz-goldenen Pappschuber unter der Titel „Best Of The Best Gold“ (Limited Gold Edition). Na ja, sieht ganz nett aus.

Zusätzlich wird noch mein Motto verwirklicht: „Je länger das Stück, desto breiter der Grins“. Mussu haben!!!

Nachtrag 16. März 2009: Im Herner Kulturzentrum beginnt im April eine Party-Reihe, bei der Interessierte vorher ihre Lieblingssongs wählen können (per Internet etc.). Dem jetzigen Stand nach rangiert auf Platz 4 der meistgewünschten Songs "Gamma Ray" von Birth Control!

Tracklist:
The Work Is Done 16:50
Back From Hell 15:35
Gamma Ray 20:33
She’s Got Nothing On You 5:35
Long Tall Sally 10:50

Line Up:
Bruno Frenzel – guitar, vocal, percussion (gest. 1983)
Peter Föller – bass, lead vocal, percussion
Bernd “Nossi” Noske – drums, lead vocal, percussion
Zeus B. Held – organ, wurlitzer piano, vocal, percussion

DISCOGRAPHY:

1970 - Birth Control
1971 - Operation
1972 - Believe in the Pill (Best of)
1972 - Hoodoo Man
1973 - Knock Knock. Who’s There
1973 - Rebirth
1973 - Goldrock
1974 - Live
1975 - Plastic People
1976 - Backdoor Possibilities
1977 - Live
1977 - The Best Of
1977 - Increase
1978 - The Best Of (Vol. 2)
1978 - Titanic
1978 - Rock on Brain
1979 - Live 79
1980 - Count on Dracula
1981 - Deal Done at Night
1982 - Bäng
1989 - Gamma Ray (Special Mix)
1990 - The Very Best Of
1994 - Condomium
1995 - Two Worlds
1996 - Jungle Life
1996 - Definitive Collection
1998 - Getting There
1998 - Crazy Nights (Studio Session)
2000 - Live Abortion
2000 - Live in Lachendorf
2003 - Alsatian
2004 - Live in Fulda
2005 - Live@Rockpalast


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