Michael "Blutkehle" Roth von EISREGEN
(28.05.2010, Interview geführt von Tina)
EISREGEN – verhasst oder geliebt. Eine Band, der Extreme nicht fremd sind. Eine Band, die manchmal sehr umstritten ist. Drei Platten stehen auf dem Index. Durch die Indizierung der Platten hat die Band eine schwierige Phase hinter sich und hat allen Diskussionen oder Spekulationen zum Trotz vor kurzem ihr 8. Studioalbum rausgebracht.
Punkt 18.oo Uhr – Michael „Blutkehle“ Roth meldet sich zu unserem telefonischen Stelldichein. Der Sänger der Band beantwortet uns am Telefon in entspannter Atmosphäre unsere Fragen, räumt mit Gerüchten auf und erweist sich als sympathischer und sehr humorvoller Gesprächspartner.
Squealer-Rocks.de: Das ist mittlerweile euer 8. Studioalbum in 15 Jahren Bandgeschichte. Erst einmal Glückwunsch zum 15-jährigem Bestehen und vor allem zu einer wirklich starken, neuen Platte!
Ihr habt in den letzten Jahren massiv verbale Prügel von vielerlei Seiten erhalten. Wie seid ihr als Band damit umgegangen? Das hinterlässt mit Sicherheit Spuren. Ihr habt zwar schon vielerlei Statements dazu abgegeben, inwieweit euch das in eurer Arbeit als Künstler und Musiker beeinflusst hat – doch wie ist das auf der menschlichen Ebene bei euch angekommen?
Mitch: Wir haben eigentlich schon seit unserer Bandgründung, was ja schon einige Jahre her ist, immer damit zu kämpfen gehabt. Es ist bei vielen Leuten eine Hassliebe. Es gibt einen Teil, der Eisregen komplett ablehnt und den anderen Teil, nämlich die Fans, die, mit den Jahren immer mehr geworden, hinter der Band stehen. Persönlich empfinde ich dass als positiven Effekt, dass Musik so was tatsächlich bei Menschen hervorrufen kann. Einmal diese extreme Ablehnung und daneben der totale Gegenpol, dass Leute schon fast fanatisch dazu stehen.
Wie wir damit umgehen? Das hat sich ergeben. Die ersten Alben sind von der Presse praktisch komplett ignoriert worden. Wenn nicht, gab es viele Verrisse. Mittlerweile kommt auch die „große Presse“ nicht mehr ganz um uns herum *lacht* Sie müssen auf uns reagieren, weil wir einfach zu groß geworden sind, um uns totzuschweigen. Für uns ist beides ein natürliches Gefühl, weil wir es einfach nicht anders kennen.
Squealer-Rocks.de: Ihr habt verdammt hart für euren Erfolg gearbeitet, dass muss man ganz klar sehen.
Mitch: Ja! Es war immer der Wille da, diese Band auf alle Fälle am Leben zu erhalten. Das Prinzip von Eisregen ist einfach: Uns selber auszudrücken in unserer Musik. Ein schöner Nebeneffekt ist natürlich, wenn es den Leuten gefällt. Ich persönlich habe da nicht viel Einfluss drauf, wenn die Leute komplett abdrehen und heftig drauf reagieren. Grade wenn man so eine Art von Musik macht, auch provokativ, muss man mit der Gegenseite leben können.
Squealer-Rocks.de: Absolut nachvollziehbar! Ich finde es teilweise extrem kontrovers, aber auf der anderen Seite haben mich an eurem neuen Album eine Dinge ziemlich beeindruckt, nachdem ich es mir ziemlich oft angehört habe: Ihr habt ein paar ziemlich heiße Eisen angefasst. Themenmäßig ist es schon auch ein Stück weit gesellschaftskritisch und greift auch sozialpolitische Aspekte auf. Wenn ich da mal an „Auf Ewig Ostfront“ oder auch „Kai Aus Der Kiste“, um die beiden jetzt mal rauszufischen, denke: Was hat euch bzw. dich als Texter der Band dazu bewogen, solche Themen in der Intensität aufzugreifen? Eher aus aktuellem Anlass oder war es dir ein persönliches Anliegen?
Mitch: Wir haben schon immer relativ kontroverse Themen angepackt. Vieles ist eher selektiv, manches wurzelt aber durchaus auch in realen Begebenheiten. Auch auf dem Album „Blutbahnen“ haben wir mit „17 Kerzen Am Dom“ das Massaker am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt aufgearbeitet. Das war ein Thema, was mir wirklich am Herzen lag. Erfurt ist ja unsere Landeshauptstadt, grade mal 40 km von mir daheim entfernt. Ich habe selber dort drei Jahre gelernt, ich kenne jeden Winkel und eben all die Örtlichkeiten, wo das Massaker stattgefunden hat. Man muss das deutlich unterscheiden: Wir machen zwar auch sehr brutale Lieder, ein Großteil ist aber eben Fiktion. Man kann aber den Grund, aus denen dieses Massaker geschehen ist, nicht auf irgendwelche Medien abwälzen. Das Problem liegt in unserer Gesellschaft begraben und nicht in Filmen oder anderen künstlerischen Äußerungen, die sich mit solchen oder ähnlichen Dingen beschäftigen. Solche Themen sind uns auf alle Fälle wichtig!
„Auf Ewig Ostfront“ ist eigentlich gar nicht so ein kritisches Gebiet, wie wir es schon mal hatten. Das ist eine andere Geschichte. Ich bin ja auch ein großer Filmfan und wollte damit zwei Kontroversen verbinden. Und zwar mag ich einerseits den Film „... Und täglich grüßt das Murmeltier“ sehr, auf der anderen Seite aber auch die ganzen Romero-Zombie-Filme (Anm. d. Red.: George A. Romero, US-amerik. Regisseur). Um das, was völlig konträr ist, zu verbinden, damit es trotzdem Sinn bekommt, war der Hintergrund von „Auf Ewig Ostfront“.
„Kai Aus Der Kiste“ kann man durchaus als witzig betrachten, hat aber durchaus einen ernsthafteren Hintergrund. Grade in der jüngeren Vergangenheit ist sehr viel sehr sehr krankes Zeug passiert, dass zum Beispiel Menschen jahrelang in Kellern „gehalten“ worden sind.
Da gibt’s bei uns in den Kindergärten übrigens jedes Jahr eine Aktion, die heißt „Weihnachten im Schuhkarton“. Da werden für die Dritte Welt eben Schuhkartons fertig gemacht mit Spielzeug, Schokolade und so ein Zeug. Überall hängen dann jedes Jahr Plakate aus. Ich selber hab eines meiner Kinder dort im Kindergarten gehabt. Ich hab das Poster gesehen und da hat’s sofort Flash! gemacht. Gleichzeitig die Geschichte der Österreicherin, die jahrelang im Keller gefangen gehalten wurde, und eben diese Aktion - das war dann die Verbindung, die ich mit in dieses Lied eingebracht habe.
Squealer-Rocks.de: Grade „Kai In der Kiste“ war wirklich das Stück, was mich wirklich ins Mark getroffen hat. Wahrscheinlich hab ich das eher von der deutlich ernsthafteren Seite gesehen. Vor allem im Hinblick auf diese junge Frau, die so lange gefangen war und sich befreien konnte oder eben der Fall F., wo der Vater seine Tochter gefangen hielt. In den Medien ist das alles meiner Meinung nach deutlich zu reißerisch dargestellt worden, das Schicksal der Kinder und auch das der erwachsenen Menschen, hat die Presse scheinbar einen Scheiß interessiert.
Mitch: Leider ist das so. Die Berichterstattung in den Medien ist ganz klar auf Schlagzeile ausgerichtet. Schlimm ist es beispielsweise bei der B. (Anm. d. R.: Große, deutsche Tageszeitung), die das extrem ausschlachtet. Grade, wenn es um solche Berichterstattung geht, ist das teilweise wirklich widerlich! Ganz schlimm finde ich es auch, wenn es um Kriegsberichterstattung geht. Fernsehen ist teilweise noch relativ human, aber in den Printmedien und vor allem in der B. kriegt man echt das kalte Kotzen. Das fließt dann auch in ziemlich sarkastischer Form in meine Texte mit ein. Wie gesagt, ist das zwar nicht unser Hauptaugenmerk, dass wir den Finger in Wunden legen wollen, aber grade, wenn man Musik macht, die mehr sein soll als nur Unterhaltung, dann ist es wichtig, dass man solche Themen zumindest mal anschneidet und in eine ansprechende Form verpackt. Hauptaugenmerk von EISREGEN ist nach wie vor, dass wir Unterhaltung machen wollen, in erster Linie für unsere Fans, die damit umzugehen wissen, auch mit radikaleren Themen.
Die ganze Geschichte ist daraus entstanden, dass ich ein großer Filmfan bin, seit vielen Jahren auch Metal gehört habe und diese Verbindung, radikale Themen eingebettet in harte Musik, ist die Kernaussage, die EISREGEN immer am Leben gehalten hat.
Squealer-Rocks.de: In meiner Kritik zu eurem Album habe ich geschrieben, dass ich ein bisschen den Eindruck habe, dass so eine gewisse Grundaggressivität drin ist gepaart mit einem gewissen Durchgeknallt-sein – bitte mit einem Augenzwinkern betrachten! Ist es genau das, was euch als Band ausmacht? Dass ihr die Dinge zwar einerseits schon ziemlich offensiv, ein bisschen aggressiv aber trotzdem mit einem Augenzwinkern angeht?
Mitch: *lacht* Das ist sehr gut zusammengefasst! EISREGEN oder Metal allgemein ist eine gute Möglichkeit, um Aggressionen, die sich ganz natürlich anstaut im Alltag, in positive Bahnen zu lenken. Grade, wenn man selber die Möglichkeit hat, Musik zu machen und vor Publikum, vielleicht sogar vor großem, zu spielen, hat man fantastische Möglichkeiten, seine Aggressionen abzubauen. Das ist bei Metal-Konzerten auch das Entscheidende. Wenn man Fan ist von härteren Gangarten kann man sich da in positiver Form austoben. Sicherlich auch ein positiver Grundgedanke hinter EISREGEN. Und ganz klar: Ein Augenzwinkern ist bei uns immer dabei. Wir sind alle sehr humorvolle Menschen, okay, eigentlich eher schwarzhumorig *lacht* Es ist schon einfach wichtig. Dann auch bei Songs wie „Das Allerschlimmste“ oder eben auch „Kai Aus Der Kiste“, wo dann auch der eher bösartige Schalk zum tragen kommt.
Squealer-Rocks.de: Okay, versteh ich – grade bei „Das Allerschlimmste“ hab ich die ersten paar Sekunden bestimmt 5x zurück geskipt, um das noch mal zu hören! Das ist für mich der klassische ear-catcher, weil man da garantiert hängen bleibt. Erschreckenderweise oder besser gesagt erstaunlicherweise, habe ich von etlichen Leuten gehört, die sagen: ‚Uff, Eisregen, öhöm... ja... muss nicht sein. Ist kein Metal.’ Um mal einen Bekannten zu zitieren: ‚Eisregen ist wie ein Verkehrsunfall. Du willst eigentlich nicht hingucken, aber irgendwas zwingt dich, das trotzdem zu tun.’ Ersetze hingucken durch hinhören – das finde ich schon ziemlich spannend. Was meinst du, woher solche Aussagen kommen?
Mitch: Hm... Das ist wahrscheinlich die Sache, dass einige Leute überhaupt nichts damit anfangen können, was wir machen. Die Reaktionen sind sehr gemischt auf unsere Musik und unser Schaffen allgemein. Man weiß einfach eben nicht, welchen musikalischen Hintergrund die Leute haben, an welchen Themen die Leute privat interessiert sind. Wenn da dann so eine Band wie wir kommen, die so überhaupt nicht in das eigene Schema reinpasst, ist es ganz klar, dass die Reaktion dementsprechend ist. Doch das stört uns eher weniger.
Squealer-Rocks.de: Sortiert ihr euch selber denn eher in die Metal-Szene oder eher in ein völlig anderes Genre? Ich habe euch eher in den Dark bzw. teilweise Extrem-Metal sortiert, gar nicht so sehr in den Bereich Black oder Death?!
Mitch: Das ist das Schöne: Man kann uns schwer in irgendeine Schublade stecken. Wir benutzen schon verschiedene Stilistiken, um die Musik an den jeweiligen Text anzupassen. Bekanntermaßen ist es bei uns ja so, dass eben erst der Text entsteht, was eher ungewöhnlich ist, und danach schauen wir gemeinsam, wie wir den Text am besten musikalisch umsetzen können. Ich hab da meist beim Schreiben schon meine Vorstellung, wie das Lied ablaufen könnte, also von den Stimmungen her und so. Wir schauen dann schon, dass die musikalische Ausarbeitung dann den Text weitgehend transportiert. Wir machen ja schon sehr viele Jahre zusammen Musik und verstehen uns da wirklich blind. Vieles läuft bei den Proben schon aus dem Bauchgefühl heraus, ohne dass man da viel rumdiskutieren oder rumreden muss, weil wir alle genau wissen, wie EISREGEN im Endeffekt zu klingen hat. Wie ich finde, ist das schon eine sehr gute Bandchemie.
Squealer-Rocks.de: Ihr seid ein extrem gut eingespieltes Team, was gut zu hören ist. Gut fand ich auf „Schlangensonne“, dass die Keyboards zwar immer präsent waren, aber nie dominierend im Vordergrund, es wurde deutlich mehr auf den gitarristischen Teil gesetzt.
Mitch: Das ist eine natürliche Entwicklung gewesen. Wir haben in der jüngeren Vergangenheit einige Line-Up-Wechsel gehabt, auch durch Probleme mit dem Bass. Deswegen arbeiten wir live nicht mehr mit einem Bassisten, sondern eher mit Effektbass. Das hat sich über Jahre hinweg gezogen. „Schlangensonne“ ist das Album, was tatsächlich mit der gleichen Besetzung wie der Vorgänger entstanden ist! Die Hauptfraktion, nämlich Bursche, Yantit und ich waren immer konstant, der Rest hat eigentlich immer gewechselt. Jetzt haben wir seit knapp 3 Jahren mit Franziska wirklich eine Keyboarderin, die sich perfekt mit einbringt und das ganze Bild gut ergänzt. Jetzt haben wir endlich eine Einheit, die an einem Strang ziehen kann. Ich denke, dass hat man auf der „Knochenkult“ und jetzt bei der „Schlangensonne“ deutlich gehört, dass die Bandchemie endlich bei 100% liegt.
Squealer-Rocks.de: Nach eingehender Recherche im Netz bin ich über etliche Dinge gestolpert. Spitze Zungen behaupten beispielsweise, dass ihr lediglich nur noch aus finanziellen Gründen die Band „betreibt“, das neueste Album lediglich ein schwacher Abklatsch der letzten Alben sei und dass ihr euch besser auflösen solltet – was ich persönlich etwas grenzwertig finde. Wie begegnet ihr solchen Aussagen?
Mitch: Also das ist wirklich totaler Unfug *lacht*
Grade wenn man unsere Konzerte besucht, merkt man schon, dass wir einfach Spaß an dem haben, was wir tun. Grade im Dark- oder Extrem-Metal-Bereich gibt es natürlich nicht die Kohle zu verdienen, die man verdienen könnte, wenn man z. B. reine Gothic-Musik macht oder sich nur anbiedern würde. Deswegen prallen solche kuriosen Gerüchte komplett an mir ab. Meistens kommen solche Äußerungen von Leuten, die die Szene insgesamt einfach nicht kennen. Ich mache jetzt seit 15 Jahren Musik und kann jetzt grade mal seit 2 Jahren hauptberuflich davon leben. Die 13 Jahre davor sehen die Leute dann weniger. Neider gibt es wahrscheinlich, die der Band einfach den Erfolg nicht gönnen. Wir haben lange Jahre Dreck gefressen, und nur weil es uns jetzt finanziell besser geht, hat das nix damit zu tun, dass wir EISREGEN nur des Geldes wegen machen.
Squealer-Rocks.de: Deine Stimme! Ist es richtig, dass du während eurer Auftritte einen Stimmverzerrer benutzt und auch bei den Studioaufnahmen, um das krächzende hinzukriegen?
Mitch: Nö, überhaupt nicht und da bin ich wirklich stolz drauf, dass die Live-Leistung wirklich die ist, wie sie auch im Studio ist. Am besten kann man sich das auch auf unserem Live-Album anhören, im Endeffekt klingen da die Stimmlagen genau so wie auf der Studio-Platte.
Squealer-Rocks.de: Berühmte letzte Worte?
Mitch: Ohje, die sind immer gern genommen, da weiß ich nie, was ich wirklich sagen soll...
Ich möchte mich auf jeden Fall bei all denen bedanken, die unser neues Album gekauft haben, wir haben so viele positive Reaktionen erhalten! Auf unserer myspace-Seite haben wir einen Song zum Download gestellt. Also wer nicht die Katze im Sack kaufen will, kann da gern mal reinhören. Wir gehen nach der Festivalsaison im Herbst mit „Schlangensonne“ auf Tour und ich freu mich drauf, viele Fans zu treffen!
Squealer-Rocks.de: Ich wünsche euch viel Erfolg für euren morigen Auftritt und danke dir für deine Zeit!!
DISCOGRAPHY:
1998 – Zerfall
1998 – Krebskolonie
2000 – Leichenlager
2001 – Farbenfinsternis
2004 – Wundwasser
2007 – Blutbahnen
2008 – Knochenkult
2010 - Schlangensonne
SQUEALER-ROCKS Links:
Eisregen - Schlangensonne (CD-Review)
Michael "Blutkehle" Roth von EISREGEN (Interview)