Squealer-Rocks.de CD-Review
Beardfish - Sleeping In Traffic: Part Two

Genre: Progressive Rock / Retro Prog
Review vom: 25.05.2008
Redakteur: TheMattes
Veröffentlichung: 16.05.2008
Label: InsideOut



Freunde des gepflegten virtuosen Geklöppels, da hol mich doch Dieser und Jener!
Wenn das hier kein Progrock ist, dann weiß ich auch nicht. Ich würde sogar sagen, das ist Progrock in der besten Tradition der sechziger und siebziger Jahre (letztes Jahrhundert), also kann man „Sleeping In Traffic: Part Two“ von Beardfisch reinen Herzens und mit Fug und Recht als RetroProg bezeichnen. So weit, so toll, aber jetzt wird es Zeit für eine kleine Vorabbeurteilung in Stichworten, als da wären: klasse, abwechslungsreich, originell, eigenständig, lohnt die Ausgabe!
Klar soweit? Gut! Wenn ich aber bösartig wäre (was ich natürlich nicht bin, ich Schmusebär, ich), dann könnte ich auch schreiben, dass Beardfish bei allem und jedem klauen, der überhaupt jemals Progrock gemacht haben. Aber das stimmt nicht, denn kein Musiker sitzt da und überlegt, bei wem er denn heute mal was plagiieren könnte. Es gibt immer gewisse Einflüsse, aber wer mal eine Diskussion über bestimmte Stücke geführt hat, wird feststellen, dass da jeder andere Einflüsse herauszuhören glaubt; will sagen, es hängt immer vom Einzelnen ab.
So! Genug gequatscht, gehen wir doch in medias res (wie der Lateiner sagt), also mitten in die Dinge, und Ihr könnt alle mitkommen, wenn Ihr wollt, hehe.

„Sleeping In Traffic: Part Two“ beschreibt die zweiten 12 Stunden im Tag eines Menschen, nämlich die Nacht. Trotzdem sind die Kompositionen hell und freundlich und lebensbejahend, nie düster und angsteinflößend. Es gibt, natürlich, jede Menge Breaks, die die Songs immer interessant und den Zuhörer bei der Stange halten. Allerdings hält sich die Komplexität in Grenzen, denn die unterschiedlichsten Interludien wirken nicht wie mit aller Gewalt entstanden, sondern wohlüberlegt zusammengefügt.
Es wird also Abend und unser Held wird eine Nacht voller Abenteuer erleben, die er nicht so schnell vergessen wird.

Es beginnt mit optimistischem Keyboard-Geklöppel („As The Sun Sets“) zum Sonnenuntergang und endet mit sehr ruhigem ebendiesem zum Sonnenaufgang („Sunrise Again“). Dazwischen liegen sechs Songs mit einer Spielzeit von schlappen einundsiebzig (!) Minuten, wobei „Sleeping In Traffic“ die Krönung ist mit gut 36(!) Minuten.
Iss ja gut, Mattes, werdet Ihr sagen, denn wir wissen ja, dass Du alles unter zehn Minuten eh nur für einen Quickie hältst (oder heißt es: halten tust?). Aber die Länge eines Stückes sagt nun nix, aber auch gar nix über seine Qualität aus.
Röööchtöööch, dieses Stück aber enthält quasi das volle Progrockleben, wobei es sich trefflich darüber streiten ließe, ob man das Ganze nicht doch ein wenig kürzer hätte halten können. Geschmackssache, fertig.
„Into The Night“ läutet den Abend ein, hell, freundlich, optimistisch und hammond-dominiert werden Gitarren und Gesang auf die Reise geschickt, während der Bass dem Ganzen die nötige Tiefe verleiht. Die Breaks werden an den richtigen Stellen gesetzt und halten diesen guten Song immer kurzweilig und interessant. Er ist in seiner Art typisch für dieses Album, nicht sehr schnell, manchmal sogar im ¾-Takt, manchmal swingend, manchmal sehr rockig.
„The Hunter“ ist gekennzeichnet von schnellen, groovenden Parts, wabernden Keyboards, Rhythmus- und Tempiwechseln. Es werden Melodien gewoben und besonders Bass und Keyboard geben Gummi und es kracht ganz schön. Rein textlich kracht es auch: „It gives me satisfaction to see you scared and running. And when you bleed you bleed only for me. So peel back the skin of your skull. Cause I wanna see what's inside." Morbide, aber nicht stupide.
„South Of The Border“ macht da weiter, wo „Into The Night“ aufgehört hat, denn es kracht zum Auftakt gehörig. Es entwickelt sich im weiteren ein sensationeller Song über einen eigentlich gewöhnlichen Kerl, wie man ihn in jeder Bar findet. Nicht überall findet man dagegen diese Art von Humor, den Beardfish hier offenbaren. Der Typ reißt also auf einer Büro-Party was zum Nachtisch auf, und zwar eine der Drag Queens, die aus einer Torte gesprungen kommen. Wahre Weiblichkeit sieht anders aus, aber das merkt er erst nach dem Sex seines Lebens. Ups! Besonders interessant ist dann allerdings die Frage, warum es ihm so gefallen hat. Die Antwort: „Because he’s gaaaaaaaayyyyyyyy“ in einem Monty Python-artigen Chor, der in einem richtig rockigen Ende gipfelt. Pyramidonal und highlightig!!!
Besonders hervorzuheben sind die vielen verschiedenen Musikparts und Interludien, vom gesprochenen Wort bis zum richtigen Rockpart, vom Instrumentalpart bis zum funkigen Rhythmus, oder dem Polkateil.
„Cashflow“ dagegen ist ein echtes Instrumentalstück, das wirklich fließt, sehr verspielt ist, und ein wenig an Kirmesmusik erinnert. Na ja, das ist mir schon zu verzockt.
„The Downward Spiral/Chimay“ beginnt auch verspielt, im Mittelteil gar mit mittelalterlichen Anklängen, entwickelt aber mit zunehmender Dauer mehr Dynamik und Schwung, wobei die Gitarre besonders hervorsticht.

Und jetzt wird’s wirklich episch, denn es gibt ein Stück für die Ewigkeit, den Prog-Olymp, zu vernehmen, nämlich den Titelsong „Sleeping In Traffic“. 35 Minuten (in Worten: fünfunddreissig) Retro-Progrock vom Feinsten, der den Traum unseres Protagonisten in dieser Nacht beschreibt.
Es werden geboten: viele Breaks, Polkarhythmen, treibende Rhythmen und viel (Bass-) Groove und Interludien im ¾-Takt, mal wird auch gerockt, gaaaaanz ruhige Teile mit traumhaftem Gitarren- und Bassspiel (im wahrsten Sinne des Wortes), französische Klänge, darüber der unaufgeregte, trotzdem doch energische, Gesang von Rikard Sjöglom, ein Gitarrist und ein Raum voll wütender Narren, vor Dämonen weglaufen, Seemöwen, ein Seemanns-Chor, ein verpasster Bus, der süße Duft und die grellen Lichter der Großstadt („gasoline und neon lights in sweet cooperation“, „…the rhythms got me by the balls…“), eine Siebziger Jahre- Disco und das „das Staying Alive“-Thema von den Bee Gees, krass angezogene Discogänger und ein Kerl, der keinen Spaß versteht. In der Schlusssequenz ereilt unseren Helden noch die Erkenntnis, dass auch in einem Traum eine Schusswunde weh tun kann (aber nur ein bisschen).

Bei „Sleeping In Traffic: Part Two“ zeigt sich die Liebe der einzelnen Musiker zur Musik im Allgemeinen und zum expressiven Progrock im Besonderen. Man kann den Spaß buchstäblich heraushören, den sie alle miteinander dabei haben. Jeder Song entwickelt sind quasi organisch und alle machen durchweg auch mir ausgesprochen viel Spaß.
Dies ist sozusagen superber Old School Prog“, der eine Mischung aus poppigen Teilen, Hardrock, schrägen Jazz und Blues darstellt. Vergleichbar ist das Ganze vielleicht mit Camel und den „Canterbury Tales“, als Fast-Konzeptalbum mit Grobschnitt und „Rockpommels Land“ oder „Solar Music“, was den Titelsong angeht oder Moonsorrow oder Dream Theater im harten Rockbereich.

Was also zeigt uns das? Es zeigt, dass eine Welt abseits aller üblichen Musikstile gib. Es gibt eine Musik, die mühelos farbenfrohe Bilder auf die Trommelfelle zaubert und den Hörer aufgrund ihrer packenden Struktur in ihren Bann zieht. Hier zieht quasi die ganze Palette traditioneller Rockmuski am Ohr des Zuhörers vorbei. „Sleeping In Traffic: Part Two“ ist zeitlos, packend, hat Tiefgang und Inhalt, der aber nicht so verquast ist, als das er den Zuhörer überfordern könnte. Außerdem haben die Jungs von Beardfish jede Menge Humor, was ich hiermit nochmals ausdrücklich begrüßen möchte. Beardfish fühlen sich außerdem beeinflusst von Radiohead, Elton John, Gentle Giant oder Camel.

Diese Platte ist also uneingeschränkt zu empfehlen, allerdings braucht man ein wenig Zeit, um alle Facetten dieses göttlichen Werks zu entdecken. Erst nach mehrmaligem Hören kann man die geradezu galaktische Qualität wirklich würdigen. (Mensch Mattes, komm runter! die Red.) Puuuh, ichkannnichmehr. Und Tschüss!

Tracklist:
1. As The Sun Sets
2. Into The Night
3. The Hunter
4. South Of The Border
5. Cashflow
6. The Downward Spiral/Chimay
7. Sleeping In Traffic
8. Sunrise Again

Line up:
Rikard Sjöblom – vocals, keyboards
Robert Hansen – bass
Magnus Östgren – drums
David Zackrisson - guitars

DISCOGRAPHY:

2003 - Från En Plats Du Ej Kan Se
2006 - The Sane Day
2007 - Sleeping In Traffic: Part One 2008 - Sleeping In Traffic: Part Two 2009 - Destined Solitaire

SQUEALER-ROCKS Links:

Beardfish - Sleeping in Traffic: Part One (CD-Review)
Beardfish - Sleeping In Traffic: Part Two (CD-Review)
Beardfish - Destined Solitaire (CD-Review)

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