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Geister unserer Tage – oder der Sinn des (modernen) Lebens

Beitrag von Steffi vom 08.06.2009

Ich habe lange überlegt, wie ich diesen Beitrag nun beginnen soll, doch letztlich ist es wohl am besten den Pudel beim Namen zu nennen: Ich bin offline! Wisst ihr noch, was das bedeutet? Kennt ihr noch den Zustand des vollkommenen Unvernetztseins? Wir haben uns in den vergangenen Jahren so sehr daran gewöhnt überall und zu allen Zeiten erreichbar, global aktiv zu sein, dass wir – als moderne Menschen – schon ganz und gar vergessen haben, wie es ist, nicht mit >5000MBit/s auf der Datenautobahn unterwegs zu sein. Ihr tut es doch gerade. Während ihr diesen nun in einer digitalisierten, word-zentrierten Version veröffentlichten Text lest, tut ihr es – ihr seid online; ob nun als Beamter zwischen zwei Tassen Kaffee und einer Schachtel Zigaretten, als Schüler auf der wikipedianischen Suche nach Wissen oder einfach als musikbegeisterter Leser unseres Webzines – ihr seid online. Ich war es bis vor kurzem auch noch – war einer von euch, die ihr bloggt und gruschelt, chattet und mailt, eure Gedanken jenen bereitwillig preisgebt, die es wissen wollen. Nun aber ist es aus. Ein blasses Flackern einer LED kündet von der Amputation eines lebenswichtigen, eines lebensnotwendigen Organs. Das Internet ist tot – wir haben es umgebracht!

Doch was brauchen wir diese aus Bits und Bytes bestehende Welt, die sich wie ein Paralleluniversum, wie die Filamente eines gigantischen Pilzes im nahrhaften Boden des Waldes erstreckt? Wir sind Gefangene dieser glitzernden Welt aus Trug und Schein – gefangen und berauscht von den schier endlosen Möglichkeiten, die das weltweite Spinnennetz uns offenbart. War es denn nicht unser schaffender Geist, der dieses ersann zum Wohle der Menschheit? Nun aber liegt unsere Schaffenskraft danieder, nieder gerungen von den Ketten der Datenströme, die uns in nicht enden wollender Stärke umströmen, gefesselt von den Unmengen an Informationen, die gleich einer biblischen sinnflut auf uns nieder prasseln. Gehabt dich wohl Geist, du Sitz der Träume und Fantasien, der du einzig mir gehörst und doch allen kannst sein zu Diensten. Doch ist selbst die Souveränität des Geistes nicht mehr in ihrem vollen Umfang gewährleistet. Seht euch an, wie ihr bereits eine Antwort auf diesen Text in den Fingern habt, wie ihr ansetzt eure Gedanken kund zu tun, ihr seid nur noch einen Mausklick davon entfernt, ihr müsst es nur noch... tun. - Ich wollte gerade schreiben „wagen“, jedoch was muss man da noch wagen – man, das digitalisierte, vollvernetzte Wesen – wenn man es täglich, stündlich, wenn nicht gar minütlich tut.

Warum schreit niemand mehr, wenn der BND, das BKA, Google oder weiß Gott – ob dieser wohl auch bereits vernetzt ist? - wer sonst noch, seine Trojaner auf uns loslässt? Was wäre dies nur für ein Aufschrei, wenn es plötzlich hieße, dass man die Gedanken der Mitmenschen lesen könnte, wenn jede finstere Fantasie, die sofortige Inhaftierung zur Folge hätte? Schaut einfach einmal den Film Equilibrium und macht euch ein Bild dessen, was uns dann erwarten würde. Soweit sind wir noch nicht und doch, seht euch an, blickt auf die Festplatte eures PCs, der nicht umsonst „personal computer“ genannt wird. Wieviele Erinnerungen, Pläne und persönliche Gedanken sind dort in Speicherblöcken abgelegt? Längst haben wir doch den Schritt vollzogen unser Innerstes nach Außen zu kehren und allen offen zu legen.

Es ist nicht schwer den Weg, den wir in diesen Tagen beschreiten zurück zu verfolgen. Eine Kartenüberweisung hier, einmal Geldabheben da und ständig via Handy zu orten. Erinnert ihr euch noch der Tage, in denen man zum Reden auf die Straße ging? Als man als Kind noch durch Wälder, Wiesen und Felder tollte und dabei einzig seiner eigenen Fantasie folgte und nicht im Gleichtakt der infantilen Medien schlug? Als man noch ein Blatt Papier – einige Ältere unter euch erinnern sich mit Sicherheit noch an dieses Medium – zur Hand nahm, es mit Füllfederhalter und Tinte beschrieb, um es schließlich zur Post zu tragen? Denkt darüber nach, wenn ihr euch nach Vollendung dieser Zeilen vom Bildschirm losreißt. Aber letztlich verbleibt die Wahl nicht bei uns, denn alle müssen wir den Götzen dieser Tage folge leisten, müssen online sein, um nicht auf der Strecke zu bleiben – überrollt vom Zug der Zeit.

Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit.

PS.: Dieser Text entstand auf Recyclingpapier, mit schwarzer Tinte und Füller.

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