Das Philosofa

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Hommage an Jürgen Habermas

Beitrag von TheMattes vom 22.06.2009

Wenn squealer-rocks.de keinen richtigen Platz dafür hätte, dann hätte ich ihn wohl erfinden müssen. Aber zum Glück gibt’s schon „philosofa“, und welche Rubrik wäre besser geeignet, den größten lebenden Philosophen zu seinem 80. Geburtstag am heutigen 18. Juni 2009 zu ehren und zu würdigen? Genau! Keiner!

Also los: Jürgen Habermas ist ein deutscher Filosof, im weitesten Sinne Sozialwissenschaftler, dem man nicht entkommen kann, wenn man denn beispielsweise SoWi studiert. Ich bin ihm auch nicht entkommen...damals... in Bochum, konnte aber den Kontakt auf ein Minimum reduzieren, denn Filosofi oder Theorien von irgendwas sind nicht wirklich mein Ding.

Was ist nun das Besondere an Jürgen Habermas?

Erstens hat er die Fähigkeit, von jeder nur möglichen philosophischen Position aus, durch Zusammenfassungen von Argumentation und Theorie, Kondensate herzustellen, das sind verdichtete verstehende Zusammenfassungen. Sein Hauptwerk, die „Theorie des kommunikativen Handelns“ von 1981, ist im Grunde der Nachweis, dass sich vieles gar nicht so sehr widerspricht, wenn man es denn nur richtig wiedergibt. Es ist dies eine Gesellschaftstheorie, die Lebenswelt-Konzept, Sprechakt-Theorie und psychoanalytische Erkenntnisse über „verzerrte“ Kommunikation zusammenführt. Habermas geht dabei der soziologisch grundlegenden Frage nach, wie denn menschliches Zusammenleben überhaupt möglich ist (Das frage ich mich manchmal auch). Es geht auf 1200 schlappen Seiten um Rationalität, Modernisierung und Handlungs- und Systemtheorie. Habermas erweist sich als ein humanistischer Fürsprecher der „Lebenswelt“ und er richtet sich gegen Positivismus, Linksfaschismus, Sozialtechnologie, Tendenzwende, gegen die Postmoderne, den DM-Nationalismus, natürlich gegen Ernst Nolte und Sloterdijks „Regeln für den Menschenpark“.

Und zweitens: Er hat sich eingemischt! Er hat sich immer dann eingemischt in die öffentliche Diskussion, wenn er es für richtig hielt, auch wenn er nicht immer richtig lag.

Er war der Mann, der sich 1964 in einem Zeitungsartikel über den Filosofen Martin Heidegger erregte, der es fertig gebracht hatte, eine Vorlesung unkommentiert(!) zu veröffentlichen, die er allerdings schon mal 1935 gehalten hatte und in der er, also Heidegger, von der „inneren Wahrheit und Größe dieser Bewegung“ spricht. Ich glaub, es hackt!

Auf der anderen Seite hielt er die Bundesrepublik der Adenauer-Zeit für eine Gesellschaft mit mangelhafter Demokratie. Und Unrecht hat er damit nicht unbedingt.

Er war der Mann, der sich intellektuell an die Spitze der Studentenbewegung in den 60er Jahren des letzen Jahrhunderts setzte und bald als ihr Vordenker galt. Als Habermas aber den demonstrierenden Studenten mit dem Grundgesetz kam, hatten sie ihn schnell gar nicht mehr so lieb. Endgültig vorbei war die Liebe, als Habermas sich mit Rudi Dutschke anlegte, dem Führer der Studentenbewegung, dem er eine Form von „Linksfaschismus“ vorwarf. Den Vorwurf nahm Habermas allerdings neun Jahre später zurück. Was blieb, war der Vorwurf an die Protestbewegung über die „blauäugige Verwendung des Revolutionsbegriffs“.

Er war der Mann, der sich in den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts eine heftige Debatte mit dem Systemtheoretiker Niklas Luhmann lieferte.

Und schließlich war Jürgen Habermas der Mann, der sich in der Mitte der 80er Jahre im so genannten „Historikerstreit“ energisch zu Wort meldete (wie viele andere auch), als es in einer kontroversen (in verschiedenen Printmedien ausgetragenen) Diskussion um die (nebenbei auch von mir so eingeschätzte) Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung ging. Der Historiker Ernst Nolte wollte diese Tatsache ein wenig „kleinreden“, d.h. mehr in den historischen Kontext einordnen. Er leugnete nicht die Einzigartigkeit des industriell-technischen Vorgangs der Vergasung, aber er hielt die Ereignisse für eine berechtigte Reaktion oder auch präventive Maßnahme gegen die Bedrohung durch die Sowjets und ihre zugegebenermaßen schrecklichen Taten. Das Ergebnis dieses Historikerstreits war und ist allerdings ernüchternd, denn im Grunde ging es nicht um neue wissenschaftliche Erkenntnisse (die kamen erst viel später), sondern um die Deutungshoheit über die Geschichte und über die deutsche Identität nach dem Zweiten Weltkrieg. Beide Seiten instrumentalisierten Auschwitz für ihre Zwecke, was auch nicht besonders fein ist.

Meiner Meinung nach ist eine Geschichtsschreibung aus der Sicht der Opfer die beste aller Lösungen, denn nur so wird der Zivilisationsbruch, der in der Shoa geschah (und nicht nur dort!), am stärksten deutlich.

Fest steht damit nur eines, nämlich, dass Jürgen Habermas vor keiner Kontroverse zurückschreckte und er sehr oft Recht behielt. Nicht immer, denn in der Zeit vor und während der Wende in Deutschland, hat er sich dann doch vergalloppiert, wenn ich das mal so ausdrücken darf.

Trotzdem bleibt ein Zitat von Jürgen Habermas in meinem Gedächtnis haften, dessen Inhalt zweifellos universelle Gültigkeit hat: „Ist es nicht die vornehme Aufgabe der Besinnlichen, die verantwortlichen Taten der Vergangenheit zu klären und das Wissen darum wach zu halten?“ Aber sicher doch!

Trotzalledem und gerade auch deshalb: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Jürgen Habermas!

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